Der Vorteil agiler Projekte, die tägliche Abstimmung, kann zur Herausforderung werden, wenn es an Feedbackkultur mangelt. Scrum lebt davon und zieht seine Daseinsberechtigung daraus, dass alles dem gemeinsamen Ziel untergeordnet wird: ein großartiges Produkt auszuliefern. Dazu müssen sich die Teammitglieder gegenseitig in die Verantwortung nehmen. Oft erleben wir in Projekten gespielte Harmonie: Alle sind freundlich zueinander und betonen, wie sehr sie sich mögen, aber unter der Oberfläche brodelt es, vor allem aber: Aus lauter Freundlichkeit sagen sich die Teammitglieder nicht, was gesagt werden muss.
Da der Ton die Musik macht, müssen Feedbackrunden keine Romanzen sein. Ob Daily, Review oder Retrospektive: Sich ständig zu loben, ist eher Ausdruck von Unreife in einem Team als echte Wertschätzung. Respektieren sich die Teammitglieder hingegen und trennen die Rolle von der Person (mehr zu „role und soul“ lest ihr in unserem Beitrag zu Holakratie), entsteht ein Klima, das sachorientierte Kritik am Arbeitsergebnis erlaubt, ja, sogar einfordert. Dabei kommt es zum einen darauf an, die Rolle im Projekt von der Person zu trennen, zum anderen sollte es immer um die Sache gehen, das Ziel des aktuellen Sprints. Sachorientiert wäre es beispielsweise zu sagen, „an dem Produkt fehlt mir XY“, während die Formulierung „du hättest an XY denken sollen“ weniger hilfreich wäre, da der oder die Angesprochene das als Kritik an ihrer Person auffassen könnte. Spätestens, wenn die Retrospektive ansteht, wird es unglaubwürdig, wenn es nichts zur Sprache kommt, was hätte besser laufen können. Wie sollte sich das Team dann weiterentwickeln?
Radical Candor in Scrum-Projekten
Die Ex-Google-Managerin Kim Malone Scott hat ein Feedbackmodell entwickelt, das nicht nur für Führungskräfte eine wertvolle Orientierung darstellt. Sie vertritt einen Kommunikationsstil, den sie „Radical Candor“, radikale Offenheit, nennt. Spielraum für radikale Offenheit entsteht, wenn die Mitglieder sich auch auf einer persönlichen Ebene begegnen. Stimmt die menschliche Basis, kann man mit „dem Gegenüber klar sprechen und es damit herausfordern – ohne aggressiv zu werden“, so impulse-Redakteurin Kathrin Halfwassen. Kim Malone Scott unterscheidet vier Arten, Feedback zu geben (siehe Abbildung). Nur das radikal offene Feedback ist gleichermaßen ehrlich und am Menschen orientiert.
Vier Arten, Feedback zu geben. Kathrin Halfwassen stellt auf impulse die Methode der radikalen Offenheit (radical candor) vor. Entwickelt hat sie die Ex-Google-Managerin Kim Malone Scott.
Business-Coach Stefanie Voss erläutert, worin sie den Nutzen dieses Ansatzes sieht: „Wenn jemand immer wieder etwas tut, was nicht gut ist oder einfach unangemessen, gehört es sich, dass wir den Menschen darauf hinweisen. Denn Sie können davon ausgehen, dass der andere dann einen blinden Fleck hat, also Verhaltensweisen aufweist, die der Person selbst gar nicht auffallen. Menschen brauchen dann eine ganz klare, unter Umständen harte, aber dabei höfliche Ansprache, damit sie sich ändern können. Und nur das ist dann fair.“
Sicher bedarf es einiger Übung und kostet Überwindung, diese Haltung einzunehmen. Stefanie Voss erzählt, dass 90 Prozent ihrer Workshopteilnehmer ihren eigenen Feedbackstil als „falsch-empathisch“ einschätzen. Der Grund, weshalb Menschen in der Regel mit ihrer Meinung hinterm Berg halten: „Wir wollen alle gemocht werden und andere deshalb nicht wütend machen oder verletzen. Bei ehrlichem Feedback kann aber genau das passieren.“ Ohne dieses Feedback entsteht ein bleiernes Arbeitsklima; Produktqualität und Performanz leiden.
Auch keine Lösung: „Nix g'schwätzt isch gnug g'lobt“
Auf der anderen Seite bedeutet radikale Offenheit auch, die Kolleginnen und Kollegen zu loben und Erfolge gemeinsam zu feiern. Stillschweigend zu erwarten, dass alle Höchstleistungen bringen, und reinzuhauen, wenn es etwas zu kritisieren gibt, vergiftet jedes Arbeitsklima und ist selbstverständlich mit diesem Ansatz nicht intendiert. Vielmehr gewinnt das Lob im Rahmen einer authentischen Kommunikation an Bedeutung, da es immer dann ausgesprochen wird, wenn es tatsächlich etwas wertzuschätzen gilt. Gute Teamarbeit zeichnet aus, dass sich die Mitglieder sachorientiert kritisieren und loben und beides auch von anderen annehmen können. Klar sollte vor allem sein, dass es immer um die Arbeitsergebnisse und nie um die Person geht. Denn nur so entsteht eine Atmosphäre, in der sich die Mitarbeitenden auch trauen, gewagte Ideen einzubringen. Diese offenen Mindset kann man gar nicht hoch genug einschätzen, denn auf diesem Nährboden gedeihen Innovationen hervorragend.
Irgendwas stimmt nicht in eurem Team oder ihr traut euch nicht, euch zu kritisieren? Meldet euch einfach. Wir beraten euch gerne und bieten Trainings an.